Gender Verbot in Bayern: Welche Auswirkungen hat es auf Kinder und Jugendliche?

Gender Verbot in Bayern: Welche Auswirkungen hat es auf Kinder und Jugendliche?

von Jenny Neubacher
30 Shares

„Mehrgeschlechtliche Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt sind nun ausdrücklich unzulässig“, so wurde es jetzt in die Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) ergänzt.

Worum geht es genau?

In Bayern wurde ein Genderverbot durchgesetzt und beschlossen, das für Schriftliches in Verwaltung, Schulen und Hochschulen gilt.

Bei Verstößen drohen Beamten Konsequenzen.

"Für uns ist die klare Botschaft: Sprache muss klar und verständlich sein", sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach einer Kabinettssitzung. Das Verbot solle für Verwaltung, Schulen und Hochschulen gelten – unter anderem für offizielle Schreiben, Internetseiten von Behörden und Schulen, Elternbriefe, Schulbücher, Internetseiten und auch Jahresberichte. Damit gebe es nun klare Regeln für den staatlichen Bereich. (Aus BR Nachrichten)

Für Arbeiten in der Schule bedeutet das beispielsweise, dass das Gendern als falsch angestrichen wird, für die Lernenden allerdings keine negativen Konsequenzen hat.

Anders, als bei Beamten, Lehrkräften & Co, die gegen dieses Verbot nicht verstoßen dürfen und mit Konsequenzen zu rechnen haben, sollten sie die Gendersprache dennoch verwenden.

Die Konsequenz ist dabei abhängig von Häufigkeit, Ausmaß und dem jeweiligen Kontext.

Das Verbot tritt am 01. April in Kraft.

Hintergründe zum Gender Verbot

Die bayerische Landesregierung beruft sich bei ihrer Entscheidung auf einen Beschluss des Rats für deutsche Rechtschreibung.

Darin wurde die Verwendung von Sonderzeichen im Wortinneren nicht empfohlen.

Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass es sich um Eingriffe in Wortbildung, Grammatik und Orthografie handelt, die die Verständlichkeit von Texten beeinträchtigen können.

Bei Gendersprache wird häufig von sprachlicher Künstlichkeit oder spracherzieherischer Tendenz gesprochen.

"Eine ideologisch geprägte Sprache, etwa beim Gendern, habe indes eine ausschließende Wirkung", sagt der Chef der Bayerischen Staatskanzlei, Florian Herrmann (CSU).

Was sagen Kritiker des Verbots?

Die Bundesschülerkonferenz zum Beispiel spricht von Bevormundung.

Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Florian Fabricius, am 19. März. „Wir sind gegen diese Bevormundung, das gilt sowohl fürs Gendern als auch fürs Nicht-Gendern“, betonte er. (Deutschlandfunk)

Dominik Krause (Grüne), Zweiter Bürgermeister der Landeshauptstadt München sagt dazu: "Ich finde, beim Gendern sollten wir uns mal ein bisschen locker machen. Wer gendern will, soll das machen, wer nicht, lässt es eben." (Süddeutsche)

Und auch die GEW Bayern schrieb in einem offenen Brief:

Als ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, hochschulpolitischen Akteur*innen, queeren Verbänden und zivilgesellschaftlichen Organisationen lehnen wir derartige Vorstöße diskriminierender Sprachzensur ab. 

Was denken Kinder und Jugendliche darüber?

Generell gilt hier, wie eigentlich immer, dass die Meinung zum Gendern bei den Kindern und Jugenlichen variiert, wie auch bei den Erwachsenen.

Bevor ich über ein persönliches Gespräch mit Jugendlichen schreibe, möchte ich hier erstmal kurz einen Eindruck aus einem Video teilen:

Gendern - Das sagen Kinder

Mein Gespräch mit Jugendlichen

In einem Gespräch mit Jugendlichen im Alter von 12-16 Jahren habe ich genau dieses Thema angesprochen. Was denkst du über Gendern?

Es war ein sehr interessantes Gespräch und hat mir Perspektiven eröffnet. Und genau diese möchte ich mit dir teilen.

Denn es fielen folgende Sätze, die mir ihre Sichtweisen deutlich gemacht hat:

"Ich finde es ist ungewohnt und mir passiert es auch, dass ich es vergesse, aber ich versuche drauf zu achten, weil ich es wichtig finde, dass ich keinen diskriminiere."

"Mir fällt es schwer, um ehrlich zu sein. Also ich möchte ja nicht diskriminieren, aber ich hab es die ganze Zeit so gelernt einfach immer Schüler oder Lehrer zu sagen."

"Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es für Kinder einfacher ist, wenn sie von vorneherein mit dieser Sprache aufwachsen, weil dann ist es ja normal für sie."

"Mir ist es nicht wichtig, ob ich als Schüler oder Schülerin bezeichnet werde, aber ich kenne viele, die sich ausgeschlossen fühlen, wenn von Schülern gesprochen wird und sie selber Mädchen sind."

Was ich, für mich, als absolut hervorragende Reaktion abgespechert habe, war der Satz:

"Ich finde jeder Mensch soll doch für sich entscheiden gendern in der Sprache zu nutzen oder eben nicht!"

Was bringt Gendern und was nicht?

Genau dazu gibt es ein, wie ich finde, aufschlussreiches Video von Quarks:

Warum ist die Debatte eigentlich so emotional?

Ich glaube wir sind uns alle einig, dass diese Debatte sehr stark polarisiert und emotional aufgeladen ist, aber warum eigentlich?

„Gendern rüttelt an bestehenden Verhältnissen“, sagt die Germanistin Susanne Hochreiter. „Indem ich genderkorrekt spreche, benenne ich die Personen, die involviert sind. Aber ich mache auch sichtbar, wo und wie oft Frauen unterrepräsentiert sind. Es zeigt, dass es immer noch Asymmetrien und Machtverhältnisse gibt, die in der Gesellschaft eine große Rolle spielen.“ Ein Beweis für die Sinnhaftigkeit von inklusiver Sprache sei die Regelung aus den 80er-Jahren, in Stellenausschreibungen beide Geschlechter ansprechen zu müssen, sagt Hochreiter. „Frauen fühlten sich sonst nicht angesprochen. Jetzt haben wir das dritte Geschlecht auch dabei.“ (Kurier)

Da ist das Thema Veränderung natürlich ganz groß und wir Menschen reagieren auf Veränderungen im Grunde genommen immer gleich. Nämlich in Phasen:

  1. Phase: Schock
  2. Phase: Verneinung
  3. Phase: Einsicht
  4. Phase: Akzeptanz
  5. Phase: Ausprobieren
  6. Phase: Erkenntnis
  7. Phase: Integration

Aber unabängig davon gibt es auch folgende Thesen, warum die Debatte so emotional ist:

  1. Menschen fühlen sich gezwungen zu gendern
  2. Eigentlich geht es doch gar nicht ums Gendern
  3. Gruppenzugehörigkeit oder eben nicht
  4. Neues ist anstrengender fürs Gehirn

Schauen wir uns diese Thesen an, dann lässt sich recht schnell erkennen, dass aus psychologischer Sicht, all diese Gedanken und Emotionen Stress auslösen. Menschen erleben Zwang, können keinen Sinn erkennen, haben Angst vor Ausschluss einer Gruppe und müssten ihre Komfortzone verlassen.

Grundbedürfnisse werden 'angegriffen' und das ist wahrscheinlich der Grund für die Emotionalität.

Kinder und Jugendliche werden nur verwirrt

Dieses Argument habe ich nicht nur einmal gelesen und gehört. Die Irritation bei Kindern und Jugendlichen, wenn sie auf einmal mit genersensibler Sprache konfrontiert werden.

Für mich ist dies kein Argument, denn Rechtschreibreformen, von denen viele im Laufe der Schulbahn immer wieder betroffen sind, sind vollkommen in Ordnung. Es wird nicht so heftig darüber diskutiert, ob es Kinder und Jugendliche verwirrt oder irritiert, wenn sie auf einmal nicht mehr 'daß', sondern 'dass' schreiben sollen. Oder wenn sie bitte Schifffahrt auf einmal mit '3f' schreiben sollen, nicht mehr nur mit zwei.

Rechtschreibreformen gibt es regelmäßig und verfolgen welchen Sinn? Welchen Mehrwert haben diese, dass Lernende diese ständig neu lernen müssen?

Die Reaktionen darauf sind meistens "Das ist halt so!", "Das war schon immer so!" oder "Da mussten wir alle durch!".

Also stelle ich mir folgende Frage:

Verwirrung ist okay, wenn es schon immer so war!

Kurzzeitige Irritation (bis das Gehirn den Trampelpfad gebildet hat) mit dem Zweck etwas zu verändern, was zu einer wertschätzenden Gesellschaft führt, bitte nicht!

Die Sprache und ihr Einfluss auf Kinder und Jugendliche

Unsere Sprache hat großen Einfluss auf uns Menschen, auch auf Kinder und Jugendliche.

Wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden (Nennung der männlichen und weiblichen Form, zum Beispiel „Ingenieurinnen und Ingenieure“ statt nur „Ingenieure") schätzen Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer ein und trauen sich selbst eher zu, diese zu ergreifen. Zu diesem Ergebnis kommen Psychologinnen und Psychologen an der Freien Universität Berlin. (Fachzeitschrift „Social Psychology“)

Sprache leitet uns maßgeblich bei der Kategorisierung unserer Umwelt an. Das sind Aussagen vieler Sprachwissenschaftler, die sich mit Rollenbildern, Stereotypen und den Einfluss der Sprache beschäftigen.

Kategorien sind wichtig

Unser Gehirn braucht Kategorien und sogenannte Schubladen, denn dadurch ist es möglich, dass wir, in Sekundenschnelle, Situationen einschätzen und reagieren können.

Stereotype sind quasi Hilfsmittel zur Verallgemeinerung, Vereinfachung, Reduktion und Bewertung der Eindrücke, die von unserer Umwelt auf uns einwirken.

Der menschliche Verstand braucht zum Denken Kategorien. Der Prozess lässt sich auch nicht unterbrechen, denn das 'geordnete Leben' von uns Menschen beruht genau auf diesem Prozess.

Unser Gehirn funktioniert so, dass unser stereotypes Wissen bereits eingeordnet hat, ohne unser Bewusstsein, was auch bedeutet, dass wir uns dagegen nicht wehren können.

Und dennoch gibt es einen großen Unterschied bzw. einen Hebel, den wir selber nutzen können.

  • Kategorisierung erfolgt unbewusst
  • Bewertung lässt sich beeinflussen

Wir alle wachsen in einer Sprach- und Kulturgemeinschaft auf und genau diese prägt uns. Das ist gesellschaftlich und in dem Sinne kollektiv.

Aber genau diese Gesellschaft und dieses 'Kollektiv' ist auch der Grund, warum sich Stereotype aufrechterhalten können.

Verallgemeinerungen erleichtern uns die Wahrnehmung der Welt und wir haben dadurch eine Art 'Fahrplan' für die soziale Interaktion. Orientierung.

Worüber wir uns klar sein müssen

Dass, was wir sprechen, schreiben und lesen beeinflusst unsere Haltung mehr, als die eigenen Erfahrungen.

Die Sprache und der Sprachgebrauch beeinflussen die Art und Weise, wie wir unsere Umwelt kategorisieren und welche Perspektive wir auf sie haben.

Wenn sich das Sprechen über die Geschlechter verändert, verändert sich langfristig auch deren Wahrnehmung.

Dies kann zu einem gerechteren, mindestens aber bewussteren Umgang im Miteinander beitragen und Stereotypen als festgelegte Normen hinterfragen.

Und für die Kinder und Jugendlichen bedeutet das Verbot was?

Viele Kids wünschen sich eine integrative Welt, alle haben das Bdürfnis nach Zugehörigkeit und Anerkennung.

Vor allem für die Kinder und Jugendlichen, die sich selber nicht in ihrem biologischen Geschlecht identifizieren, ist Zugehörigkeit oftmals schwierig und sie sind häufig Mobbing ausgesetzt.

Seit vielen Jahren gibt es vermehrt die Bewegung die Welt integrativer zu machen und z.B. Schule zu einem Ort zu machen, in dem Wertschätzung und Akzeptanz für alle Kinder und Jugendlichen vorhanden ist.

Laut einem offenen Brief von 53 Verbänden und Organisationen ist die Suizidrate bei queeren Kindern und Jugendlichen vier bis sechs Mal so hoch, wie bei Gleichaltrigen, die sich mit dem biologischen Geschlecht identifizieren. Auch Mobbing spielt dabei eine große Rolle.

Die Problematik und die Themen Gleichstellung, Auflösung von Stereotypen und Rollenbildern lassen sich natürlich nicht nur durch die Sprache lösen. Da braucht es definitiv noch mehr.

Aber was ist das Verbot für ein Zeichen?

Kinder und Jugendliche fühlen sich nicht ernst genommen, nicht wahrgenommen und wie unsichtbar.

Sie fühlen sich nicht angesprochen oder sogar ausgegrenzt.

Die Landesvorsitzende der GEW Bayern Martina Borgendale erklärte: "Unter den 1,6 Millionen Kindern und Jugendlichen an Bayerns Schulen sind auch viele queere Schüler*innen, die häufig aufgrund ihrer geschlechtlichen und sexuellen Identität Mobbing und Diskriminierung erfahren. Statt mit einem Genderverbot queerfeindliche Stimmung zu befördern, sollte sich die Staatsregierung besser für mehr Akzeptanz und Sichtbarkeit queerer Lebensformen einsetzen." (news4teachers)

Meine Meinung zum Verbot

Ich könnte jetzt hier ganz kurz in einem Satz meine Meinung äußern:

Leben und leben lassen ❤️

Aber natürlich möchte ich gerne noch ein paar weitere Sätze ergänzen.

Für mich ist ein Verbot dieser Art ein absoluter Rückschritt in Bezug auf Individualität, Selbstermächtigung und Selbstverantwortung.

Und das nicht aus dem Grund, dass ich der Meinung bin, dass das Gendern verpflichtend für alle Menschen sein sollte. Aber genau so, wie ich es nicht als verpflichtend für alle sehen möchte zu gendern, möchte ich es auch nicht als verpflichtend für alle sehen, dies nicht zu tun.

Ich verstehe dieses Verbot in der Hinsicht nicht, dass es einschränkend ist. Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch selber entscheiden dürfen, ob er gendersensible Sprache gebrauchen möchte oder nicht.

Im tiefsten Inneren würde ich mir wünschen, dass ein offener Austausch und Diskursmöglichkeiten geschaffen werden, um über solche Themen zu sprechen. Ein Verbot ist für mich alles andere als ein "Jeder Mensch ist gut so, wie er ist" und "Wir alle sind eigenverantwortliche und selbstwirksame Personen".

Denn die Eigenverantwortung und Selbstwirksamkeit ist mit diesem Verbot aufgehoben worden.

Das, was Kinder und Jugendliche verwirrt, ist nicht die Veränderung zur gendersensiblen Sprache, sondern Verbote, wie das in Bayern, was Sensibilität und Bewusstsein (und damit auch bestimmte Gruppen und Menschen) einfach wegradiert und unsichtbar macht.

Was ist deine Meinung?

Mich interessiert sehr, was du darüber denkst und ich freue mich über Kommentare und einen wertschätzenden Austausch 🍀

Jenny Neubacher
Jenny Neubacher

Noch keine Kommentare vorhanden.

Was denkst du?

Ich bin Jenny Neubacher und ich unterstütze Soziale Einrichtungen und Fachkräfte, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. 
Für eine individuelle, qualitative und kompetente Betreuung und Begleitung.
______________________________________

Wöchentliche Inspiration im HeldenHäppchen

______________________________________
© 2025 Jenny Neubacher
DatenschutzImpressum
Powered by Chimpify